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Guten Abend,

ich begrüße Sie herzlich.

Mein Name ist Alexander Goeb. Ich bin Journalist und habe diese Ausstellung mit finanzieller Hilfe einiger Stiftungen zusammengestellt. Sie zeigt einen kleinen Ausschnitt der Geschichte dieses mörderischen Staatswesens, das sich „demokratisches Kampuchea“ nannte und nur kurze Zeit – drei Jahre, acht Monate, und 20 Tage existierte.
Die meisten hier im Raum wissen sicher mehr als ich über diese Zeit, einige haben gelitten und ihre Angehörigen verloren. Manche werden bis heute an dieser Zeit tragen. Egal ob sie Opfer waren oder Opfer und Täter gleichzeitig.

Einige der Personen, die diesen Staat trugen und seine Ideologie transportierten, existieren auch heute noch. (Der Folterknecht Pol Pots ist verurteilt, die vier anderen Inhaftierten erwarten ihr Urteil)

Was bewegt einen Journalisten in Deutschland dazu, über mehr als 30 Jahren immer wieder Kambodscha zu besuchen, Menschen in diesem Land zu befragen und ihre Antworten in Deutschland in Form von Zeitungsreportagen und Radiosendungen zu präsentieren?

Während ich hier im Kambodscha bin, werde ich 71 Jahre alt. Ein beträchtliches Alter. Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich so alt werde. Aber nun ist es passiert. Als Reporter war ich in vielen Teilen der Welt unterwegs. Nahezu immer hatten meine Reisen mit Krieg zu tun, mit Kriegen der herkömmlichen Art, aber auch mit Krieg in den Köpfen. Der Krieg in den Köpf ist ein ständiger Begleiter des heißen Krieges mit Bomben und Granaten. Ich war in Kurdistan und im Libanon, in nahezu allen Regionen des Balkan, in Vietnam am Ende des Grenzkrieges mit China. Doch keine meiner Reisen hat mich so erschüttert wie jene im Jahre 1979 nach Kambodscha. Es war eher Zufall, dass ich nach Kambodscha kam. Ich hatte einen Journalistenpreis gewonnen für eine Reportage über deutsche Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren, die Widerstand gegen die Nazimacht geleistet hatten. Dabei waren sie auch mit Waffengewalt gegen das hochgerüstete Hitlerregime vorgegangen. Sie waren verhaftet worden und ohne Anklage und Urteil öffentlich zur Abschreckung für andere erhängt worden. Der Preis für die Reportagen bestand in einer Reise nach Vietnam. In Hanoi wurde ich gefragt, ob ich an einem Tribunal in Phnom Penh gegen Pol Pot und Ieng Sary teilnehmen wolle. Ich wollte. Ich flog nach Phnom Penh, war sechs Tage in einer leeren Stadt, Trümmer übersäht, mit einigen wenigen Menschen, die wie Gespenster durch die Stadt schlichen, beschützt von vietnamesischen Soldaten, denn ohne sie hätte das Pol Pot-Regime seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiter verübt.
Es waren 29 internationale Korrespondenten, die an dem Tribunal teilnahmen. Ich war der einzige aus der damaligen Bundesrepublik Deutschland.
Damals, im Chaktomuk-Theater am Tonle Sap - Fluss, wo das Tribunal stattfand, traten Männer und Frauen, Alte, Junge und Kinder in den Zeugenstand. Die meisten blickten starr geradeaus und berichtete wie Automaten über das erlebte Grauen, dem rund 2 Millionen Kambodschaner, nahezu ein Viertel der damaligen Bevölkerung, zum Opfer fielen. Viele unterbrachen, von Weinkrämpfen geschüttelt, ihre Aussagen. Andere brachen zusammen und mussten fort getragen werden. Bei manchen Aussagen ging ein Stöhnen durch den Saal, wenn Kinder berichteten, wie die Eltern vor ihren Augen massakriert wurden.

Sechs Tage befand ich mich in einer toten Stadt, vor deren Toren zigtausende ehemalige Einwohner ausharrten, um irgendwann einmal wieder in der Umgebung leben zu können, aus der sie Jahre zuvor vertrieben worden waren. Es herrschte eine unwirkliche Stimmung. Zwischen Palmen und kleinen Bananenplantagen hatte man 400 Kinder gesammelt. Ich habe noch nie so ruhige Kinder gesehen. Es war Mittagszeit. Die Kinder saßen in einer großen Halle und aßen aus einer Schale Reis. Es fiel kein Wort. Sie aßen. Sie konnten, sie durften wieder essen. Kürzlich waren sie noch unterwegs. In weit entfernten Provinzen waren sie aufgebrochen, die Eltern tot, verhungert oder ermordet. Die Kinder waren auf Wanderschaft gegangen. Die wenigsten kamen in Phnom Penh an. Die Kleinsten schafften es. Sie benötigten die kleinsten Essensrationen.
Viele der Kinder waren schwer krank, einige hatten schwere Verletzungen.

Der neue Präsident Heng Samrin empfing die ins Land gekommenen Journalisten im heutigen Luxushotel Le Royal, damals ein heruntergekommenes Gebäude, in dem die Affen und Geckos tobten. Er stellte seine neue Regierung vor und seine Vorstellung von einem neuen Kambodscha. Heng Samrin, die meisten hier wissen das, war General der Roten Khmer in der Südwestregion gewesen und hatte sich nur durch die Flucht nach Vietnam vor der Exekution in S-21 retten können. Wie auch andere. Auf einer Pressekonferenz saß ich direkt gegenüber Ihrem heutigen Ministerpräsidenten Hun Sen, ein schmaler, magerer junger Mann von 28 Jahren, der neue Außenminister. Ich wusste nicht, ob er mich anschaute oder in die Ferne blickte. Es war sehr komisch. Bis ich dann merkte, er hatte ein Glasauge, das in eine andere Richtung blickte, als das gesunde Auge. Das eine Auge hatte er im Krieg verloren.

Ich war in einer Millionenstadt, die keine mehr war. Früher war Phnom Penh eine Metropole mit internationalem Flair gewesen. Das alles gab es nicht mehr. Nur die Armut war geblieben. Sie war noch größer geworden. Damals hatten sich viele der Armen, die meisten Bauern, den Roten Khmern angeschlossen, um für eine gerechte Gesellschaft zu kämpfen. Aus dem Aufbruch, der viele Khmer nach dem Putsch gegen Sihanouk im Jahre 1970 in die Arme der Leute um Pol Pot getrieben hatte, wurde eine Apokalypse des Verbrechens an den Menschen und an diesem wunderbaren Land mit seiner faszinierenden Geschichte. Mich fragte damals ein mexikanischer Journalist. „Hören Sie, Sie kommen doch aus Deutschland. Sagen sie mir, ist das Pol Pot- Regime mit dem Naziregime vergleichbar?“ Ich sagte damals einfach ja. Sicher ist, dass der Genozid in Kambodscha, den um einen solchen handelt es sich, zwischen 1975 und 1979, nach dem Holocaust das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit des 20. Jahrhunderts ist.

Was kam danach? Ich berichtete in Deutschland, was ich erfahren und gesehen hatte. Aber: Viel Interesse bestand an diesen Informationen nicht. Denn: Es herrschte der Kalte Krieg. Kambodscha hatte den falschen Befreier vom Terrorregime des Pol Pot. Das war Vietnam. Vietnam hatte Kambodscha besetzt, um die Roten Khmer zu vertreiben. Mag sein, dass auch eigennützige Motive eine Rolle gespielt haben, die Vietnam veranlasst hatten, in Kambodscha einzumarschieren. Eines der Motive war sicher die Tatsache, dass die Roten Khmer jahrelang in vietnamesische Grenzdörfer eingefallen waren und dort Vernichtung und Tod hinterlassen hatten.

Für den größten Teil der westlichen Presse war damals das Tribunal von Phnom Penh von 1979 eine vietnamesische Propagandaveranstaltung. Die Feindschaft gegenüber Vietnam, die den USA 1975 eine historische Niederlage beigebracht hatten, führte dazu, dass die USA und China und auch Thailand einen neuen Bürgerkrieg unter Beteiligung der Rote Khmer gegen die neue Regierung in Phnom Penh anzettelten, die man natürlich als vietnamesisches Marionettenregime einstufte. Der Höhepunkt war, dass die UN mit massiver Unterstützung durch die USA und China die Roten Khmer allen Ernstes als Vertretung Kambodschas vor den Vereinten Nationen akzeptierten.

Dieser unglaubliche Vorgang endete erst Ende der 80er Jahre, als die Vietnamesen aus Kambodscha abzogen und in Paris Friedensverhandlungen begannen.

Im Rahmen der Ausstellung, die Sie hier sehen, sind Fotos verarbeitet. Sie stammen von dem Maler Vann Nath, den Ministerpräsident Hun Sen vor einigen Monaten, als Nath wieder einmal schwer erkrankt war, als „nationalen Schatz“ Kambodschas bezeichnet hat. Zu sehen sind auch Fotos des Fotografen Heng Sinith. Sie haben mit der Schreckensgeschichte Kambodschas zu tun.

Die Folter und die Erniedrigung der Menschen in Tuol Sleng ist seit der Befreiung 1979 das Lebensthema von Vann Nath. Der Fotograf Heng Sinith hat die Rote Khmer-Zeit als jugendlicher Kuhhirte überlebt. Viele seiner Angehörigen sind gestorben. Nach einem Studium der Theaterwissenschaften hat Sinith beschlossen, Pressefotograf zu werden. Er fotografiert heute für die Agentur AP.

Sein Beitrag zu dieser Ausstellung sind Fotos der sogenannten „kleinen Mörder“, wie er sie nennt. Sie zeigen die Mitläufer des Regimes in ihren heutigen Alltagssituationen, meist als harmlose Reis- und Gemüsebauern. Dazugestellt sind die Schwarz-Weiß -Porträts dieser Personen, die von Rote Khmer-Fotografen stammen und heute im kambodschanischen Documentation-Center, dem DC-CAM, archiviert sind. Sie sind zwischen 1975 und 1978 entstanden.

2005 war ich mit Heng Sinith unterwegs. Ich wollte mit einigen der sogenannten „kleinen Mörder“ sprechen. Zwischen den Stelzenhäusern breiteten sich Zucker- und Kokospalmen aus, Tamerinden-Bäume und Reisfelder. Etwas abseits der Straße lag das Stelzenhaus von Lo Sim.
Mir begegnet eine schlanke Frau in dunkler Kleidung, mit unbewegtem Gesicht und traurigen Augen.

Sie erzählte, dass die Roten Khmer sie 1974 aus ihrem Dorf holten. Mehrmals flüchtete sie, wollte zu ihrer Mutter zurück, wurde zurückgeholt und eingesperrt. Sie kam zur Armee und wurde an Waffen ausgebildet. Sie war damals 17 Jahre alt. Obwohl sie nun eine Soldatin der Roten Khmer war, bekam sie wie auch die meisten anderen nur Wurzeln von Papaya-Bäumen und Bananen-Stauden zu essen. Alle fünf Tage gab es eine Reissuppe.

Inzwischen hatte sich um Lo Sim und mich mit meinem Mikrofon ein großer Kreis von Verwandten versammelt. Sie hörten interessiert zu. Manche schauten verängstigt, andere nickten zustimmend, wenn Lo Sim erzählte.

Zwischendurch schwieg Lo Sim, blickte ins Leere, fand zurück, sprach weiter.

Sie sagte, sie habe Angst vor dem Tod, träume manchmal schlecht. Sei auch wütend. Medikamente helfen jetzt ein bißchen.

In den offenen Stelzenhäusern der Khmer gibt es keine Geheimnisse. Die Kinder und die Anverwandten waren froh, dass Frau Lo sprach. Wenn sie spricht, geht es ihr besser, sagten sie. In letzter Zeit spreche sie öfter und sei nicht mehr so oft wütend.

Lo Sim war zuletzt Gruppenleiterin der Roten Khmer. Sie ist zugleich Opfer und Täterin. Sie gehört zu den wenigen kambodschanischen Leidtragenden des Regimes der Roten Khmer, die an einer Trauma-Therapie teilnehmen können.

Ein weiterer der sogenannten „kleinen Mörder“ ist ein Mann namens Him Huy. Über ihn sagt Vann Nath, dass er mindestens 2000 Menschen auf den Killing Field eigenhändig erschlagen habe.
Der jetzt 55jährige Mann arbeitet heute friedlich als Gemüse- und Reisbauer, ist verheiratet und Vater von neun Kindern. Auch Him Huys Haus war nicht leicht zu finden. Him Huy war im Foltergefängnis S-21 in Tuol Sleng verantwortlich für den Abtransport der gefolterten Menschen in das nahe gelegene Exekutionsfeld Chhoeung Ek, die Killing Fields von Phnom Penh.

Ein kleiner, muskulöser Mann tritt mir entgegen. Freundlich bittet er mich auf der Bambusmatte Platz zu nehmen. Dass dieser Mann sich in Freiheit befindet, versteht außer den Roten Khmer und der Regierung niemand in Kambodscha. Mitte der 80er Jahre war Him Huy einmal verhaftet worden. Damals reichte für die Freilassung das Bekenntnis, er habe mit den Roten Khmer nichts mehr zu tun.

Alle Menschen, die in Chhoeung Ek starben, wurden erschlagen, mit Schlägen ins Genick. Danach wurde ihnen der Hals durchgeschnitten. Erst als sie tot waren, wurden ihnen die Ketten abgenommen. So berichtete es Him Huy vor dem Internationalen Tribunal. Er trat als Zeuge auf wie der Maler Vann Nath, der beinahe sein Opfer geworden wäre.

Im Rahmen der Ausstellung findet sich ein Dialog zwischen Him Huy und Vann Nath, die sich vor Jahren zufällig auf dem Gelände des ehemaligen Foltergefängnisses und heutigen Museums trafen.

Außerdem habe ich die Ausstellung um Text- und Foto-Porträts der Inhaftierten und Pol Pot ergänzt und das Tribunal kurz vorgestellt.

Neben dem obersten Befehlsempfänger, dem Folterchef Duch, der jetzt verurteilt ist, sind fünf Personen dargestellt. Vier davon befinden sich seit 2007 im Gefängnis des Internationalen Tribunals in Phnom Penh. Die fünfte Person ist Pol Pot. Er starb 1998 in seinem Dschungelversteck im Norden Kambodschas.

Es ist kaum anzunehmen, dass Massenmörder wie jener Him Huy als Angeklagte vor einen Richter treten müssen, obwohl dies nach dem Tribunalvertrag durchaus möglich wäre. Die kambodschanische Regierung tut alles, um weitere Anklagen zu verhindern.

Noch heute sind viele Menschen in Kambodscha von einem tief greifenden Trauma betroffen. Selbst junge Leute, die nach der Befreiung geboren wurden, sind ebenfalls Opfer. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die latente Gewalttätigkeit, die unter Teilen der kambodschanischen Jugend grassiert, eng mit dem Genozid und den Schicksalen von Eltern und Großeltern verbunden ist und auch damit, dass viele Überlebende nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren.

Wer sich mit den Geschehnissen in den 3 Jahren, 8 Monaten und 20 Tagen des Demokratischen Kampuchea beschäftigt, stellt sich immer die Frage: Wie konnte das geschehen? Auch ich habe mir diese Frage immer wieder gestellt, und Leser und Hörer meiner Reportagen und die Besucher dieser Ausstellung stellten immer die Frage: Wie konnte das geschehen?

Was sollte ich darauf antworten? Die Exzesse, die passierten, die absolute Gnadenlosigkeit gegenüber den Menschen, ist für mich nur noch mit einer extrem übersteigerten Paranoia zu erklären, eine pathologische Überschreitung jeglicher Normen menschlichen Zusammenlebens, die von keiner wie auch immer definierten Ideologie gerechtfertigt werden kann. Sie wissen auch, dass viele der Kader der Roten Khmer, die ehrlich an eine andere, gerechtere Gesellschaft glaubten und sich dafür einsetzen wollten, ihren Idealismus mit dem Lebens bezahlt haben. Ich erinnere nur an Hu Nim, den ehemaligen Informationsminister, der wie viele andere auf den Killig Fields nahe S-21 erschlagen wurde und auch an Hou Yuon, ebenfalls ein Minister der Roten Khmer, der, nachdem er sich den Deportationen widersetzt hatte, spurlos verschwand - wie so viele.

Und noch eine Geschichte zum Schluss, die möglicherweise auf die Spur führt, das Unerklärliche zu erklären. Ich hörte davon, dass es eine Frau gab, die zehn Jahre mit den Roten Khmer gelebt hat, eine Französin mit Namen Laurence Picq. Sie hatte Ende der 60er Jahren in Paris, wo sie studierte, einen jungen Kambodschaner kennen- und lieben gelernt, ihn geheiratet und von den extremen Ungerechtigkeiten und dem brutalen Bürgerkrieg in Kambodscha erfahren. Sie entschied sich mit ihrem Mann für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen. Das taten damals viele. Laurence war sehr konsequent. Sie ging mit ihrem Mann Sikoeun, der ein enger Mitarbeiter Ieng Sarys war, nach dem Putsch gegen Sihanouk nach Peking, um unter der Führung Sihanouks an der Befreiung Kambodschas vom Lon Nol-Regime zu arbeiten. Sie lernte chinesisch und Khmer und war als Dolmetscherin und Übersetzerin tätig. Und dann kam 1975 in Phnom Penh.
Laurence Picq erlebte hautnah die Paranoia der Leute um Pol Pot und Ieng Sary, zu denen selbstverständlich auch der einst überaus angesehene Gentleman Khieu Samphan sowie Nuon Chea, Ta Mok, Son Sen und andere gehörten.
Ihr Mann Sikoeun entfernte sich mehr und mehr von seiner Frau, weil er Nachteile für seine Karriere fürchtete, wenn er mit einer Ausländerin eng verbunden war. Von ihren Kindern wurde Laurence getrennt. Obwohl sie sich den Roten Khmer zugehörig fühlte, begann für sie, wie für viele andere, eine lange Leidenszeit, mit Hunger, Krankheit und Todesangst. Erst 1980 gelang ihr aus dem thailändischen-kambodschanischen Grenzgebiet die Flucht ins Ausland – zurück nach Frankreich.

Mit meiner Frau Bettina Eichhorn, die bei meinem Reisen ab 1992 immer dabei war und mich bei Recherche und Interviews unterstützt hat, besuchte ich sie 2008 im französischen Dijon. Sie war zu einem langen Gespräch bereit. Sie arbeitete als Psychotherapeutin und litt, wie eine ihrer beiden Töchter, die die Pol Pot-Zeit auch überlebt hatten, an seelischen Problemen.
„Ja, sagte sie, „das Ego, die persönliche Identität der Menschen, sollte spätestens ab 1976 abgeschafft werden. Die Menschen sollten keine Persönlichkeit mehr haben, keine persönlichen Gedanken mehr. Man brauchte keine Namen mehr, nichts Menschliches mehr. Ab 1978 ging es zusätzlich um die Kontrolle des Unbewussten und den Kampf gegen den sogenannten inneren Feind, gegen die Verräter. Was mich betrifft, so wurde ich angeklagt für die Franzosen zu arbeiten, weil ich eine Französin war, ich sollte Spitzel der Amerikaner sein, weil ich das Abitur gemacht hatte. Ich sollte Spitzel der Russen sein, weil mein Vater ein Arbeiter war, ein Spitzel der Vietnamesen, weil ich Vietnamesen liebte, ein Spitzel der Chinesen weil ich Chinesen liebte.“

Laurence Picq erlebte die gleiche Paranoia, die dazu führte, dass Menschen starben, erschlagen und erschossen wurden, weil sie zu zarte Hände hatten, weil sie eine Brille trugen, weil sie Fremdsprachen sprachen. Sippenhaft wurde zum Exzess.

Vielleicht reicht das alles noch nicht aus, um zu erklären, warum es zu diesen 3 Jahren, 8 Monaten und 20 Tagen der Apokalypse kam.

Was mich betrifft, also denjenigen, der Ihnen jetzt hier mit Unterstützung des Meta-Houses diese kleine Ausstellung präsentiert, so habe ich immer eine große Nähe zu den Opfern gespürt, nicht nur in Kambodscha. Vielleicht kann ich auf Grund meiner eigenen Geschichte ein bisschen besser als andere Extrem-Situationen verstehen und nachempfinden.

Als ich geboren wurde, hatten die Nazis gerade den zweiten Weltkrieg begonnen und waren in Polen einmarschiert. Spätestens zwei Jahre später kam der Krieg auch nach Deutschland. Die Flächenbombardements deutscher Städte durch die Allierten begannen. Ich überlebte mit meiner Mutter den Feuerhagel nur knapp. Das Haus, in dem wir wohnten, war dem Erdboden gleich gemacht worden. Wir überlebten nur, weil wir im Schutzkeller eines gegenüberliegenden Klosters, hier würde man sagen, einer Pagode, mit dicken Mauern, Unterschlupf gefunden hatten. Ich erinnere mich, dass mich meine Mutter im Kinderwagen durch Straßen mit Feuersbrünsten und zusammenbrechenden Häuserfassaden schob. Und ich weiß, dass ich seit dieser Zeit unter Asthma litt. Also in regelmäßigen Abständen keine Luft mehr bekam. Heute ist daraus ein Emphysem geworden. Meine Luftkapazität beträgt zur Zeit 20 Prozent. Das ist nicht viel.

Aber, das war noch nicht alles. Mein Vater musste mit 33 Jahren zu den Soldaten. Meine Mutter verzog mit mir nach Schlesien, eine damals deutsche Region, die heute zu Polen gehört. Sie stammte von dort, wo zu der Zeit, also 1942, kein Krieg herrschte und keine Bomben fielen. Drei Jahre später änderte sich das. Die Armeen der Sowjetunion standen an der Oder. Meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich als 5jähriger wurden Teil eines Flüchtlingstrecks, der nach Westen zog - bedroht von polnischen Partisanen und regulären sowjetischen Soldaten, die auf der Jagd nach Nazis waren, die sich mit Vorliebe in den Flüchtlingstrecks versteckten. Einmal wären wir beinahe erschossen worden. Wir haben den Hunger erlebt, und was mich betrifft –immer wieder Luftnot.
Das ist meine kleine Geschichte als Autor dieser Ausstellung. Sie ist vielleicht eine kleine Erklärung, warum ich das alles mache. Mit dieser Ausstellung wird kein Geld verdient, sie kostet nur Geld. Dass sie überhaupt zustande kam, verdanke ich in aller erster Linie der Hamburger Stiftung für Wissenschaft und Kultur.
In Deutschland wurde die Ausstellung in deutscher Sprache 2009 und 2010 in 12 Städten gezeigt. Sie wurde präsentiert in Rathäusern, Bibliotheken, Hochschulen und Kulturinstitutionen.
Mein Wunsch ist, dass die Ausstellung in Kambodscha verbleibt. Vielleicht kann sie einen Platz im Genozid-Museum finden. Vielleicht erinnert sich Samdech Hun Sen an den kleinen, damals noch langhaarigen Journalisten aus Deutschland, der ihm gegenüber saß, und von seinem Glasauge irritiert war und spricht ein Machtwort, das der Ausstellung ein Platz in Tuol Sleng verschafft.
Nun – ich bedanke mich, dass Sie gekommen sind. Es würde mich freuen, wenn ich Ihnen ein wenig vermitteln konnte, warum ich immer wieder nach Kambodscha gekommen bin und am Ende diese Ausstellung hier vorstellen konnte.